Zur Methode der Konversionsanalyse
Nach unserer Auffassung liefern die Neuen
Formate weniger Information als Modelle der Selbstdarstellung. Sie tun das
durch Personalisierung und Dramatisierung von ethischen Fragen und von
Verhaltensmustern. Diese Technik, Sachthemen zu personifizieren und für den
Alltag zu konkretisieren, hat durchaus historische Vorbilder. Wir sehen das
Innovative im Angebot der Neuen Formate in der Aufhebung der strikten Grenze
von DarstellerInnen und Publikum. Die Regie kann nicht mehr allein die Bühne
bestimmen. Es besteht der Anspruch, dass nicht „über etwas“ gesprochen wird,
sondern dass jenes „etwas“ selbst auftritt. Das impliziert eine Öffnung, die
positive Möglichkeit einer Vervielfältigung der Stimmen, die zu Wort kommen.
Dem stehen gegenläufige Strukturen entgegen. Das sind: 1.
das Erregungs- und Unterhaltungsgebot. 2. die Macht der Moderation oder der
Regie, die Zusammenschnitte herstellt. 3. das Setting, das meist ein anwesendes
Publikum einbindet, das als Meute oder Chor funktioniert und dessen Reaktionen
von der Regie vorgegeben werden. 4. Die Organisation des Feldes durch die
Mehrfachvermarktung und die Manipulation der KonsumentInnen.
Trotz dieser Einschränkungen: Wir verstehen die Neuen
Formate als kulturelles Angebot für die öffentliche Verständigung über problematische
oder konfliktträchtige Fragen von allgemeinem Interesse. Dabei ist besonders
relevant, dass verschiedene Sichtweisen - zum Beispiel die unterschiedlichen
Perspektiven von Betroffenen und Experten - zu Wort kommen und zugleich durch
die Moderation in ein bestimmtes Ritual des Umgangs miteinander eingebunden
werden. Die Moderation strukturiert die Situation durch die Fragen, die aufgeworfen
werden, durch die Zuteilung des Rederechts und durch die Kommentare (das letzte
Wort). Trotz der Macht der Moderation ist die Möglichkeit gegeben, dass
Betroffene sich in unerwarteter Weise äußern.
Die
Neuen Formate schaffen also einen Rahmen, in dem etwas zur Sprache gebracht
werden kann, das sonst nur gefiltert über Berichte bekannt wird. Von Interesse
ist immer, was die Betreffenden selbst zu ihrer Situation sagen. Aus der Sicht
der Zuschauenden werden etwa in der Affekt-Talkshow Zusammenhänge, die sonst
abstrakt bekannt sind, wie in einem Theaterstück personifiziert. Die Zuschauenden
können zu teilnehmenden Beobachtern werden. Es ist aber nicht nur das Sehen von
Personen aus fremden Milieus bedeutsam, sondern auch die Konfrontation: Es
können über das Arrangement der Sendung Begegnungen hergestellt werden, die normalerweise
im Alltag nicht stattfinden - wie zum Beispiel die Begegnung von Opfern und
Tätern. Außerdem ist das Spektrum der Themen von Belang. Es kommen immer Themen
vor, über die sonst nicht gesprochen wird (wie z.B. sexuelle Abweichungen,
etc.). Das Spektrum der Themen enthält unterschiedliche Facetten, darunter das
Spiel mit den Tabus.
Zusammenfassend
lässt sich sagen: Öffentlichkeit wird in den Neuen Formaten auf verschiedenen
Ebenen hergestellt:
·
Betroffene selbst können sich äußern. Soziologisch gesehen
geht es um die Aufhebung von Marginalisierung. (Es wird nicht nur über
Personen oder soziale Gruppen gesprochen, sondern sie sprechen über
sich.)
·
Themen, die gesellschaftlich tabuiert sind, werden angesprochen.
Das heißt, gesellschaftlich unsichtbar Gemachtes wird zum Gegenstand der
Debatte (Aufhebung von Tabuierung).
Kurze Anmerkung: Mit diesen Feststellungen ist nichts
über die Intention der Macher/Innen gesagt. Deren Interesse richtet sich primär
auf den Erfolg, der sich in der Einschaltquote niederschlägt. Sie müssen dem
Gesetz des Marktes folgen, das Interessante finden, ihr Publikum faszinieren.
Ihr subjektives Interesse richtet sich nicht auf die Herstellung von
Öffentlichkeit, aber sie produzieren sie.
Werden
die Neuen Formate als eine Form von Öffentlichkeit betrachtet, so ergeben sich
einige Kriterien zur Beurteilung der Qualität:
·
Wie weit erhalten Betroffene oder Mitspieler und Mitspielerinnen
die Möglichkeit, sich zu artikulieren und mit den anderen Teilnehmer/Innen in
einen Prozess der (Selbst)Verständigung einzutreten?
·
Werden tabuierte Themen zur Sprache gebracht und einer Auseinandersetzung
zugänglich?
·
Führt die Konfrontation von Positionen zur Verdeutlichung
der Vielfalt von Lebensweisen und Perspektiven?
Diese Fragen lassen sich in der Medienanalyse auf einer
ersten Ebene anhand der behandelten Themen und des Sendeschemas klären. Es ist
klar, dass die Botschaften der Medien sich nicht einfach über den Aspekt der
Information zureichend beschreiben lassen. Jede Information ist in eine
Rhetorik eingebunden. Sie hat also immer eine ästhetische Gestalt, die selbst,
unabhängig von der transportierten Botschaft, einen Appell (die Aufforderung,
eine bestimmte innere Haltung einzunehmen) impliziert. Die Rhetorik ist also
mitzureflektieren. Unsere Analyse des Fernsehangebots richtet sich in der
inhaltsanalytischen Betrachtung auf die Angebote in ihrer Text- und Bildstruktur.
Die Konversionsanalyse
– ein tiefenhermeneutisches Verfahren
Wie
lässt sich das inhaltliche Angebot bestimmen? Was wird im Zuschauer ausgelöst?
Um diesen Fragen nachzugehen haben wir ein eigenes Verfahren entwickelt. Wir
nennen unsere Untersuchungsmethode Konversionsanalyse. [1]
Das
Verfahren der Konversionsanalyse gehört zu den Methoden der teilnehmenden
Beobachtung und der Gruppendiskussionsverfahren, unter Einbeziehung
unbewusster Anteile, die in der tiefenhermeneutischen Kulturanalyse und in der
Ethnopsychoanalyse entwickelt worden sind. [2]
Modelle für unsere Arbeit lieferten insbesondere die Gruppenexperimente und
Gruppenanalysen von U. Leithäuser und B. Vollmerg. Die Analyse latenter Themen
bedient sich des szenischen Verstehens im Anschluss an die kulturanalytische
Methode von Alfred Lorenzer. [3]
In der Frage der Bestimmung relevanter Dimensionen beziehen wir uns auf Erving
Goffmann mit seiner Analyse von Interaktionsritualen und Rahmungen. Den
Hintergrund für die Auswertung bildet die Lebensstilforschung zum Thema
Alltagsästhetik und politische Kultur in bezug auf die sozialen Milieus in der
Bundesrepublik Deutschland. [4]
Im Rahmen der aktuellen Medienforschung ist der Bedarf,
den affektiven Aspekt der Medienwirkung zu bestimmen, neuerlich besonders
akzentuiert worden. [5]
Das gilt insbesondere für die Frage der Gewaltdarstellung, aber auch für
Analysen des Massenphänomens „Talkshow“. [6]
Die dort vorgelegten Ergebnisse werden allerdings nicht auf die
themenbezogenen Ambivalenzen bei den Zuschauern zurückgeführt, sondern sie
sind sehr stark von den konkreten Sinnzusammenhängen abgelöst.
Das
Verfahren der Gruppendiskussion gibt dagegen Einblicke in Ambivalenzen und
Dynamiken, die an konkrete Themen gebunden sind. Außerdem ermöglicht die
Gruppendiskussion über die freie Assoziation und über Wahrnehmungsprotokolle
einen Einblick in latente Phantasien. Insofern stellt unser Verfahren eine Methode
dar, die es ermöglicht, in exemplarischer Weise bewusste und unbewusste Muster
in der Rezeption und im Umgang mit dem Angebot zu verdeutlichen. [7]
Ich möchte das Thema der Spannung zwischen manifestem und
latentem Sinn und das Entstehen paradoxer Botschaften kurz an einem Beispiel
verdeutlichen.
Das
Latente ist im Angebot wirkungsmächtig, wird aber nicht in Worte gefasst oder
angemessen thematisiert. Das bedeutet zugleich: Es entsteht eine Spannung
zwischen der bildhaften, sinnlich unmittelbaren Präsentation und der sprachlichen
Benennung durch die Beteiligten (das Manifeste). Das betrifft zum Beispiel die
Fixierung der Moderation darauf, dass der Gast „Gerd“ in einer Talkshow zum
Thema Cellulite [8]
ein medizinisches Problem repräsentierte - und daher ohne weiteres nackt unter
angezogenen Menschen gezeigt werden konnte. Der Fast-Nackte unter Angezogenen,
zudem in der passiven Rolle eines Demonstrationsobjekts, wirkt peinlich. Die
Situation ist für den betroffenen Gast beschämend. Die Lücke ergibt sich hier
daraus, dass die Bedeutung der Nacktheit im Kontext der Inszenierung eine
völlig andere Bedeutung annimmt, als die Moderation behauptet. Als Teil der
Szene steht Gerd manifest für Gesundheitsprogramme, latent für Männlichkeit,
Kraft, Macht - in diesem Fall negativ, als Verlierer. Dieser Aspekt wird
inszeniert und wahrgenommen - und zugleich in der Rede auf der Bühne
verleugnet. Der Lustgewinn der Zuschauenden ist mit solchen Doppelstrukturen
verknüpft. Die latente Botschaft lautet: Ein
Körper wird zur Schau gestellt, taxiert und abgewertet. Die manifeste Botschaft
dagegen lautet: Gesundheitsberatung. Wie wir
sehen werden, treten solche Spannungsfelder in der Gruppendiskussion als
besonders diskussionsbedürftige Sequenzen hervor. Das Latente - behaupten wir
- ist affektiv relevant und es gibt ein eigenes Narrativ des Latenten, das
sich aus bruchstückhafter Wahrnehmung im Sehen zusammensetzt; eine
Wahrnehmung, die zur Ebene des Intentionalen in der Sendung in Spannung steht.
Die sogenannte Grenzüberschreitung der Talkshows ist nur die Spitze des
Eisbergs einer permanenten Spannung zwischen tabuierten, latenten
Inszenierungen mit ihrem Eigen-Sinn und dem „offiziellen Sinn“, dem Manifesten.
Die
Spannung zwischen Latentem und Manifestem provoziert beim Zuschauen Bearbeitungsimpulse, die wiederum
gegliedert werden können: Entweder es geht um die Abwehr der provozierten inneren
Bilder oder es gelingt - zum Beispiel in der Gruppendiskussion - eine
Annäherung an das Tabuierte, das heißt eine angemessene Beschreibung des
Erlebens und ein angemessener Umgang mit diesem. [9]
Die
paradoxe Botschaft im hier zitierten Beispiel entsteht aus der Struktur der
Erniedrigung und Beschämung eines Hässlichen auf der latenten Ebene, während
manifest ein medizinischer Diskurs läuft, der seinerseits noch in den
übergreifenden Diskurs eingebettet ist, den man überschreiben könnte: „Es gibt nichts Hässliches, es gibt nur Verschiedenes“, verbunden mit dem Appell an jeden einzelnen Seher:
Steh zu Dir, wie Du bist! Die männlichen Jugendlichen,
denen wir die Sendung zeigten ergingen sich über „den Nackten mit der
Speckwampe“ in Tiraden der Abgrenzung und des Abscheus, während die Mädchen mit
knapper vernichtender Verachtung reagierten. Die Angst, selbst hässlich zu sein
und beschämt zu werden, war greifbar und wurde in Abspaltungen und aggressiven
Projektionen ausgedrückt.
Das
Analysieren dieses Vorgangs, das szenische Verstehen, impliziert also im Sinne
Lorenzers eine Veränderung des Rezipienten im Prozess der Deutung des
Seherlebnisses. Zugleich sehen wir die Deutung des Latenten als Aussage über
das Angebot an.
Diese Deutung ist nicht als
„Gruppenprojektion“ aufzufassen. Jede Erarbeitung eines latenten Sinnes muss
sich am Gegenstand bewähren, das heißt, sie muss begründet und nachvollziehbar
sein. Wie steht es um die Intersubjektivität? Andere Gruppen können in ihrer
Deutung andere Dimensionen hervorheben. Das szenische Verstehen ist nicht
intersubjektiv im Bezug auf die Bestimmung der relevanten Dimensionen, wohl aber
hinsichtlich der Auslegung am Material.
Selbstverständlich
ist uns bewusst, dass die Rezeptionssituation in von uns organisierten oder
begleiteten Publikumsgruppen nicht mit den durchschnittlichen Sehsituationen
übereinstimmt. Wir sind nach verschiedenen Vergleichsversuchen aber zu dem
Ergebnis gekommen, dass es keine unendliche Variation in der Reaktion auf die
vorgegebenen Angebote gibt. Dies wird ja auch dadurch belegt, dass große
Gruppen von regelmäßigen SeherInnen gezielt angesprochen und an spezielle
Produkte gebunden werden können. In den Gruppensituationen erscheinen nicht
grundsätzlich andere Themen als im Einzelgespräch. Wir ergänzen die
Gruppendiskussion durch das „Wahrnehmungsprotokoll“, das idealerweise das
Seherleben ungefähr abbildet.
Die Technik der
Konversionsanalyse
Wie
gehen wir bei der Konversionsanalyse vor?
Die
Konversionsanalyse ist ein dreistufiges Verfahren, das Inhaltsanalyse und
Gruppendiskussion kombiniert. Teil 1 und Teil 2 finden in der Forschungsgruppe
statt, in Teil 3 arbeiten wir mit Publikumsgruppen. Wir schildern hier kurz
den Ablauf unserer Arbeitsschritte.
A.
Inhaltsanalyse in der Forschungsgruppe
Teil
1: Im ersten Schritt, in der formalen Inhaltsanalyse, werden die Sendungen in
der Forschungsgruppe im Bezug auf Themenblöcke chronologisch beschrieben. Es wird dann für jeden Themenblock
die spezielle Thematik und das affektive Klima der einzelnen Sequenz beschrieben.
(Für uns ist das Genre ein Schlüsselbegriff, da es nicht nur um Information,
sondern auch um die Rhetorik und damit um den intendierten Appellcharakter der
Angebote geht. [10]
(Teil 1 wird häufig parallel oder im Anschluss an Teil 2 fertig gestellt.)
Teil
2: Der Zugang zur affektiven Wirkung und zu unbewussten Anteilen der Rezeption
erfolgt methodisch über das Gruppendiskussionsverfahren. Wir verwenden dieses
Verfahren sowohl für die Bestimmung der Inhalts- und Wirkungsanalyse in der Forschungsgruppe
als auch in der Arbeit mit den Publikumsgruppen. Dabei fassen wir Wirkung auf als
die vom vorgegebenen Angebot ausgelösten
Assoziationen bzw. affektiven Reaktionen, die in der Gruppe einen Impuls zur
Verständigung über das Gesehene auslösen.
Was
sind die Regeln der Gruppendiskussion? Erstens: Gemeinsames Anschauen der
Sendung und Anfertigen eines Wahrnehmungs- und Assoziationsprotokolls während
des Sehens. Wir bezeichnen die Selbstbeobachtung im Sehvorgang als „naives
Sehen“, da es uns nicht darum geht, distanzierte Urteile oder kritische Reflexionen
zu erfassen; im Gegenteil geht es um die spontanen Reaktionen und
Assoziationen. Gruppenkommunikation ist in dieser Phase untersagt. Nach der
Herstellung der Einzelprotokolle erfolgt das Vorstellen der Assoziations- und
Wahrnehmungsprotokolle in der Gruppe. Dabei geht es nicht um Wertungen, sondern
um die vertiefende Erörterung der Seherfahrung. Besonders intensive
Wahrnehmungen und Affekte der Teilnehmenden werden in der Gruppendiskussion
erläutert. Dabei kristallisieren sich unterschiedliche Wahrnehmungen und
Assoziationen heraus. Es geht um die Beschreibungen von Wahrnehmungen und um
die Verdeutlichung am Material (Wiederholtes Einspielen von Szenen der Sendung
zur Verdeutlichung).
Der
nächste Schritt der Gruppenarbeit in der Forschungsgruppe ist die Feststellung
von Haupt-Themen und von unterschiedlichen Assoziationsfeldern. Die
abschließende Deutungsarbeit in der Forschungsgruppe bestimmt Themenkomplexe,
manifeste Botschaften so wie Affekte und Assoziationen.
Intendierte
Themen und manifeste Botschaften bilden die Ebene 1. Sie werden zu den ausgelösten
Affekten, den affektiv relevanten Themen und den im Publikum angeregten
Phantasien und Assoziationen – der Ebene 2 - in Beziehung gesetzt. Kommt es
zwischen den beiden Ebenen kontinuierlich zu Differenzen, sprechen wir von der
Spannung zwischen dem manifesten und latenten Sinn. Solche Differenzen
produzieren paradoxe Botschaften, die eine produktive Aneignung des
intendierten Sinns erschweren. Die entstehenden Paradoxien sind wiederkehrende
Muster. Sie sind nicht zufällig zustande gekommen, sondern befinden sich
typischerweise genau an den Schnittstellen zwischen den zentralen Postulaten
einer postkonventionellen Moral und der konventionellen bzw. regressiven
Wertorientierung.
Die
Deutung der Spannung von manifestem und latentem Sinn bezieht sich auf das
psychoanalytische Konzept des Unbewussten bzw. der Abwehrmechanismen. Die Neuen
Formate produzieren z.B. einen spezifischen Umgang mit der Spannung von
manifestem und latentem Sinn. Diesen gilt es als Strukturmuster zu beschreiben.
Dabei kommt es darauf an, Unterschiede zwischen einzelnen Sendetypen
aufzuzeigen, Techniken wie Moderation und Setting kritisch zu hinterfragen und
über Verbesserungen nachzudenken.
Das
Resultat der Arbeitsschritte 1 und 2 besteht in einem inhaltsanalytischen
Tableau des Angebots, das aus der Gruppendiskussion in der Forschungsgruppe
hervorgegangen ist.
B. Wirkungsanalyse mit Publikumsgruppen
Teil
3: Es ist wichtig, dass die Publikumsgruppen nach dem gleichen Verfahren der
Gruppendiskussion arbeiten. Die Leitung der Gruppendiskussion ist nondirektiv.
Auch in der Publikumsgruppe wird ein Wahrnehmungsprotokoll angefertigt. Es
folgen auch hier die Stufen der Wahrnehmungsbeschreibung und die Benennung der
Affekte und der Assoziationen in der Gruppendiskussion. Die Diskussion wird
aufgezeichnet und ausgewertet.
C. Systematisierung der Ergebnisse
Teil
4: Hier geht es um die Auswertung des Materials: Die Beschreibung und die
Diskussion des Gesehenen in der Publikumsgruppe wird zu den Ergebnissen der
Forschungsgruppe in Beziehung gesetzt. Wichtige Aspekte ergeben sich aus den
angesprochenen Themen und Assoziationen, die in der Diskussion zur Sprache kamen,
oder die gerade nicht angesprochen wurden. So interessiert im Fortgang der
Untersuchung besonders, ob bei verschiedenen Publikumsgruppen und innerhalb
einzelner Publikumsgruppen erhebliche Unterschiede im Vergleich zu den
Ergebnissen der Forschungsgruppe auftreten. Weiter richtet sich unser
Interesse darauf, wie Publikumsgruppen sich mit dem Seherlebnis auseinandersetzen.
Die Auseinandersetzung gilt als Indikator für Ressourcen der Verarbeitung des
Gesehenen. Von besonderer Bedeutung ist für die Auswertung zu klären, wie die
paradoxen Botschaften verarbeitet werden.
Was leistet die
Konversionsanalyse?
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Der Vorlauf in der Forschungsgruppe stellt eine notwendige Selbstreflexion
dar. Die Forschungsgruppe bildet mit ihren Ergebnissen die Folie des Kontrasts
oder der Übereinstimmung mit den Ergebnissen in den Publikumsgruppen. [11]
Das Ziel der Konversionsanalyse richtet sich auf die Beschreibung des Angebots
und auf den Umgang mit dem Angebot. Was ist der Maßstab für eine gelungene Deutung?
Die Ergebnisse sollten in einem imaginären oder realen Dialog mit den
Diskussionsgruppen aus dem Publikum ein weiterführendes Angebot sein. Die
Deutung sollte nicht unbedingt einfach Zustimmung finden, aber geeignet sein,
von den Beteiligten aufgegriffen und kritisch weiterentwickelt zu werden. Das
Ziel ist keine Diagnostik, sondern ein öffentlicher Diskurs. [12] Die von uns
in der Inhaltsanalyse erarbeiteten Spannungen zwischen dem manifesten und dem
latenten Sinn (die Paradoxe) lassen sich vielfach als Irritationen in den
Publikumsdiskussionen nachweisen. Es geht uns um die Verdeutlichung von Angebot,
Rezeptionspraxis und Ressourcen. Die dynamische Bewegung in der Phantasietätigkeit
der Zuschauer steht im Zentrum des Interesses. Das forschende Subjekt ist
selbst Teil dieser Auseinandersetzung und kann
sich nicht auf die Position des fremden Außenbeobachters zurückziehen. [13]
In
unserem Ansatz wird der Zusammenhang von Angebot und Rezeption betont, der in
letzter Zeit zu stark ignoriert wird. Der ursprünglich kritische Ansatz der
cultural studies ist inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verwässert. [14]
Unter dem Vorwand, sich dem Verstehen der Rezipienten zu öffnen, hat sich das
Lob des medialen Schwachsinns eingeschlichen. Diese Anpassung der Wissenschaft
an die massenkulturellen Angebote begann mit der Betonung der Eigenständigkeit
der Rezeption. Inzwischen hat sich diese Idee zum Fetisch entwickelt. Merke:
Jede/r kann alles gegen den Strich bürsten und eigenwillige Lesarten
produzieren – aber wenige tun es. Erklärbare Ausnahmen, Sonderfälle werden zum
Regelfall stilisiert. Notwendige Kritik am Angebot unterbleibt. [15]
Ich fasse zusammen: Das Ergebnis der
tiefenhermeneutischen Inhaltsanalyse und der Auswertung der
Publikumsdiskussionen ist die Beschreibung von thematischen Kreisen im Angebot
und die Herausarbeitung von Strategien der Affektmodulierung, die im Angebot
präsentiert werden, so wie die Darstellung des Umgangs mit dem Angebot und der
Verarbeitung des Angebots bei den RezipientInnen.
Dabei kommt dem
Gegensatz von manifestem und latentem Sinn eine besondere Bedeutung zu. Nach
den bereits vorliegenden tiefenhermeneutischen Untersuchungen wird die
Rezeption stark durch Paradoxien im Angebot beeinflusst, durch schroffe Gegensätze
zwischen Manifestem und Latentem etwa zwischen modernen, liberalen bis
individualistischen Botschaften und latenten traditionellen, autoritären und
normierenden Botschaften. Dabei ist die affektive Erregung vor allem an das
Latente gebunden, das manifest geleugnet wird. Durch die Spaltung zwischen
Manifestem und Latentem wird den Rezipienten eine regressive Verarbeitung des
Gesehenen nahegelegt. Anders als es die rezeptionsästhetischen Ansätze
behaupten, lässt sich zeigen: Unabhängig vom Kontext der Rezeption werden im
Angebot Nutzungsmöglichkeiten vorentworfen. Dies genauer zu untersuchen, ist die Aufgabe der empirischen Rezeptionsforschung.
Mit der tiefenhermeneutischen Auswertung von verschiedenen qualitativen
Dokumenten wie dem Wahrnehmungsprotokoll, dem offenen narrativen Interview und
dem Gruppenexperiment stehen dafür geeignete Techniken zur Verfügung. Mit dem Verfahren
der tiefenhermeneutischen Kulturanalyse ist ein Instrument gegeben, die
Redundanz des Manipulationsansatzes zu überwinden. Es kann empirisch gezeigt
werden, dass die Nutzung zwischen produktiver Aneignung und regressiver
Fragmentierung verläuft. An diesem Widerspruch muss jede pädagogische Förderung
von „Medienkompetenz “ ansetzen.
[1] Bei
dem Begriff beziehen wir uns auf den psychoanalytischen Terminus der Konversion
eines sozialen Konflikts in eine Körperinszenierung (Vgl. J. Laplanche,J. B. Pontalis, Das
Vokabular der Psychoanalyse, Frankfurt 1972, Stichwort: Konversion). Freud hat
die Körperinszenierung (das psychosomatische Symptom) als Darstellung einer
verdrängten Szene entschlüsselt. Die Darstellung des Konflikts im Symptom ist
dem Betroffenen wie der Mitwelt unverständlich, da der Schlüssel des Verstehens
fehlt: die Verbindungen der aktuellen Symptomszene zu der „Ur-Szene“ verläuft
über assoziative Verknüpfungen. Außerdem werden im Symptom der verbotene
Wunsch und das Verbot gleichzeitig dargestellt. Analog können kulturelle
öffentliche Inszenierungen als Unkenntlich-Machen von Konflikten gedeutet
werden, wobei ebenfalls Wunsch und Verbot in unverständlicher Form zum
Ausdruck gebracht werden. Zum Begriff Konversion vgl. Zum Verstehen und Deuten
kulturell desymbolisierter Wünsche vgl. Alfred
Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit.
Eine Religionskritik, Frankfurt 1981.
[2] Maya Nadig, Ethnopsychoanalyse,
Frankfurt 1992, U. Leithäuser/ B. Vollmerg, Empirie des Alltagsbewußtseins
1997.
[3] Alfred Lorenzer,
Tiefenhermeneutische Kulturanalyse, in: Hans-Dieter
König et al., Kultur-Analysen, Frankfurt 1988, S. 11-99 und Alfred Lorenzer, Das Konzil der
Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik, Frankfurt
1981.
[4] B. Flaig, Th. Meyer, J. Ueltzhöffer,
Alltagsästhetik und Politische Kultur, Bonn 1993.
[5] Oliver Grau, Andreas Keil, Mediale
Emotionen. Zur Lenkung von Gefühlen durch Bild und Sound, Frankfurt 2005.
[6]
Insbesondere Dieter Prokop, Der Medien-Kapitalismus, Hamburg 2000, S. 255ff., Friedrich Krotz zu „Emotionale
Aspekte der Fernsehnutzung. Konzeptionelle Überlegungen zu einem
vernachlässigten Thema“ (1993), Lothar
Mikos:Gary Bente,
Bettina Fromm: Affektfernsehen: Motive, Angebotsweisen und Wirkungen
(1997). Fernsehen im Erleben
der Zuschauer (1994),
[7] Oliver Grau, Andreas Keil, Mediale
Emotionen. Zur Lenkung von Gefühlen durch Bild und Sound, Frankfurt 2005.
[8]
Arabella, Hilfe meine Freundin hat Cellulite (Sendung vom 30.10.1998).
[9] Vgl.
die Darstellung bei Lorenzer, der den Unterschied als Symbol, Klischee und
Zeichen beschreibt in: Alfred
Lorenzer, Sprachzerstörung und Rekonstruktion, Frankfurt 1975.
[10] Wir beziehen uns in der Inhaltsanalyse
systematisch auf die folgenden Aspekte: 1. Das Thema, das verhandelt wird. 2.
Das Genre, also das affektive Klima der einzelnen Themenblöcke. 3. Es wird
weiter überprüft, wie die Gäste in ihren Äußerungen durch die Intervention der
Moderation oder durch andere Techniken (Einsatz von Zeiteinteilung,
Laufbänder, Unterbrechungen, etc.) auf die Einhaltung der Grenzen des Genres
festgelegt werden. 4. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Setting und der
Kameraführung. Welche Aspekte werden visuell besonders hervorgehoben? Wie wird
rhythmisiert? 5. Besondere Bedeutung kommt der inszenierten Öffentlichkeit zu.
Das reicht vom Setting - wie zum Beispiel der Arena-Form der Sitzanordnung des Publikums - bis zum Einsatz des
Beifalls, von der Kameraführung und der Montage bis zur Auswahl der „geeigneten
Gesichter“ für die Großaufnahmen.
[11] Vgl. Ulrike Prokop, Anna Stach et al.
Arabella Elemente einer Wirkungsanalyse, in:
Lahme-Gronostaj/Leuzinger-Bohleber, Marianne (Hg.): Identität und Differenz.
Wiesbaden 2000, S. 51-86.
[12]
Diese Intention hat in medienpädagogischer Perspektive insbesondere Dieter
Baacke entwickelt, Vgl. Dieter Baacke,Dieter Lenzen(Hg.),
Erziehungswissenschaft, Reinbek 1994, S.314-339.
[Jürgen
Ritsert, Einführung in die Logik 13] Zum
Subjekt im Forschungsprozess, der Sozialwissenschaften, Münster 2003.
[14] Man
vergleiche etwa die frühen Arbeiten von Richard Hoggart, The Uses of Literacy,
London 1957 oder Lee Rainwarter et.al. ,Workingsman’s wife. Her
Personality,Work and Life Style, New York 1959.
[15] Ein
neueres abschreckendes Beispiel für diese Deformation liefert Andreas Dörner,
Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Frankfurt 2001.