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Alfred Lorenzer
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Alfred Lorenzer Institut

Arbeitsgruppe Tiefenhermeneutik am Institut für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt: Tiefenhermeneutische Medienforschung  - Konversionsanalyse

Fachbereich für Erziehungswissenschaften der Philipps-Universität Marburg

Wilhelm-Röpke-Str. 6B

2. Etage, Raum 208

Tele.: 06421/28-24700




Seit 1996 besteht am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Philipps-Uni­versität Marburg der Forschungsschwerpunkt „Tiefenhermeneutische Me­dienanalyse“.

Im Zentrum der Forschungsarbeit stand zunächst die Analyse von populären Affekt-Talkshows wie „Schreinemakers Live“, "Harald Schmidt Show" und "Arabella". Das Forschungsfeld hat sich nunmehr auf alle massenwirksamen Formate ausgeweitet. In universitären Lehrveranstaltungen werden unser wirkungsanalytisches Verfahren, das Naive Sehen, sowie die Konversionsanalyse erprobt und die Ergebnisse für weitere Analysen genutzt.

Diese Untersuchungen wurden durch Forschungsmittel und Lehraufträge der Philipps-Universität ermöglicht. Hinzu kam die Unterstützung durch das Zentrum für Gender Studies und femi­nistische Zukunftsforschung sowie durch die Hessische Landeszentrale für politi­sche Bildung. Zahlreiche Publikationen, Diplomarbeiten und Dissertationen sind aus diesem Arbeitszusammenhang hervorgegangen.


Forschungsprogramm der AG Tiefenhermeneutische Medienanalyse (Marburg)

Unter dem Stichwort: „Neue Sozialisationsagenturen“ untersu­chen  wir Medien- und Freizeitange­bote, die im folgenden kurz als Neue Formate bezeichnet werden.

Zu den Neuen Formaten zählen Affekt-Talkshows, Reality-TV, sowie auch Soap Operas. Es lassen sich ebenso die selbstorganisierten Fantasy-Rollenspiele dazu zählen. Die Adressaten sind in allen Altersklassen zu finden und gehören zumeist zu bildungsferneren oder  mittleren Milieus.

Vor allem die Privat­sender verbinden mit ihren Sendeangeboten effiziente Fernseh­werbung. Werbung und Spielformate harmonieren. Die Bilder vom richtigen Leben, vom richtigen Körper und die Muster der an­gemessenen Selbstdarstellung sind in der Werbung wie in den Neuen Formaten auf die jeweiligen Adressaten zugeschnitten. Die Neuen Formate liefern den Zu­schauern Modelle erfolgreicher Selbstdarstellung, die kopiert wer­den, von denen sie sich aber auch vehement abgrenzen können. Beides trägt zur bewussten Selbstinszenierung vor allem Ju­gendlicher bei.

Was verändert sich im Angebot der Neuen Formate? Als erstes ist die Öffnung der Bühne für das Publikum zu nennen. Laien werden zu Darstellern, professionelle Darsteller werden zu Mitspielern. Professionelles Können und Hierarchie werden gleichermaßen ab­gebaut. Alltags- und Intimsituationen werden öffentlich ausgebreitet. Das Thema der Authentizität und der permanente Zweifel an der Aufrichtigkeit der Auftreten­den und der Glaubwürdigkeit der ModeratorInnen bzw. Professionellen werden zum Dau­erthema der Rezeption.

Das Interessante an den Neuen Formaten sind also neue Spielfor­men und inhaltlich die Experimente mit der Körperdarstellung sowie das Bemühen um Konsensbildung in ethischen Fragen.

Die ethischen Fragen beziehen sich auf die Legitimität neuer Le­bensformen (z.B. wurden Singles früher als alte Jungfern definiert; Mütter als Hausfrauen galten bis in die 70er Jahre als Ideal, heute werden sie als Versagerinnen abgestempelt; Sex im Alter gilt heute als verpflichtend, die Erwartungen an Liebe und Elternschaft wer­den zwischen Frauen und Männern neu verhandelt, etc.).

Die kulturelle Erfindung wirkungsvoller Selbstdarstellungen und neuer Lebensentwürfe bedarf immer einer kulturellen Szene und ihrer Öffentlichkeit. Hier wird das Neue vorgeführt und aus­probiert, nachgeahmt oder verworfen. Das Fernsehen liefert eine wichtige Plattform für die Darstellung der Trendsetter. Es sorgt zugleich für die massenhafte Verbreitung der neuen Trends. Dabei spielen die Neuen Formate eine entscheidende Rolle.

Die Veränderung der Lebenspraxis und der Lebensentwürfe in der Gegenwart haben eine zunehmende Ästhetisierung der Selbst­darstellung mit sich gebracht. Körperpräsentation, Lebensstil und Weltauffassung bilden ein Ganzes, den Habitus. Die Selbststilisie­rung wird besonders bei den jungen, konsumfreudigen und gut qualifizierten Frauen und Männern zur Selbstvergewisserung. Da­bei steht die optische Inszenierung im Zentrum. Die Darstellung als weiblich/männlich ist von besonderer Bedeutung. Das „Äu­ßere“ – Aussehen, Selbstformierung, Selbstinszenierung – richtet sich nicht nur an „die anderen“. Es ist Identitätsvergewisserung – also mehr als Anpassung an Fremd-Zwänge oder als unverbind­liches Spiel mit Rollen.



Persönlichkeit zeigt sich in Darstellungsmustern, die sich in den verschiedenen sozialen Milieus deutlich voneinander unter­scheiden. Dabei verfügen die modernen Milieus - anders als die traditionellen - nicht über Vorbilder, auf die zurückgegriffen werden kann. Es geht aktuell um kollektive kul­turelle Erfindungen.

Die Kennzeichen der modernen Jugendkulturen beschreiben So­ziologen mit Informalisierung, Thematisierung und Beschleunigung. Informalisierung meint die Abflachung der formellen Hierarchien im Alltag (z.B.: Chef und Hilfskraft duzen sich). Thematisierung meint, dass alle Regeln des Zusammenlebens angesprochen und hinterfragt werden können. Beschleunigung bedeutet, dass intensive Reize von kurzer Dauer gesucht werden. (Dazu zählen auch aufre­gende Events und Aktivitäten, die ein Erlebnis bringen und rasch wieder aufgegeben werden.)

Es handelt sich um neuartige Erlebnismuster. Sie gelten für den gesamten Freizeitbereich und ganz besonders für die Medienrezep­tion.

Diesen Mustern der Jugendkultur entsprechen die Neuen For­mate. Sie sind extrem informell angelegt. Informalisierung ist das zentrale Stilelement: Alle geben sich z.B. in der Affekt-Talkshow wie in der peer-group. Autorität wird geradezu neuralgisch abge­lehnt. Dass sich alle duzen ist selbstverständlich.  

Die Thematisierung liefert bis zum „Tabu-Bruch“ das inhaltliche Material der Neuen Formate. Die Debatte über die Ethik des All­tagserlebens wird als persönliches und möglichst authenti­sches Drama in Szene gesetzt. Die Thematisierung betrifft die fort­schreitende Enttabuierung des Privaten, vor allem der Sexualität.

Beschleunigung charakterisiert die nicht-diskursiven, erregenden Affekt-Angebote. Das ist kennzeichnend für die Neuen Formate: Niemand hat Zeit; es geht Schlag auf Schlag. Lebensberatung tritt hier als erregende Unterhaltung in Erscheinung.

Die Neuen Formate sind somit wesentliche Sozialisations­agenturen.

Die sozialisatorische Wirkung zu analysieren erweist sich als schwierig. Das Seherleben kann z.B. von den Zuschauern der TV-Angebote im Rückblick kaum in Worte gefasst werden. Interviews und Gruppendiskussionen, die das Fundament der Medien-Wir­kungsanalyse ausmachen, kranken genau an dieser Grenze von Erinnerung und Darstellungsfähigkeit der Befragten. Wir haben am Forschungsschwerpunkt Tiefenhermeneutik am Fachbereich Erzie­hungswissenschaften daher ein eigenes Analyse-Modell erarbeitet, das auf diese Problematik reagiert.
Konversionsanlyse


Die kritische Medienwirkungsforschung ist in der Vergangen­heit vorwiegend von der hermeneutischen Inhaltsanalyse ausge­gangen. Sie hat die Wirkung auf die RezipientInnen vom An­gebot her erschlossen. Seit langem ist dieses Vorgehen als allzu spekulativ kritisiert worden. Seit den sechziger Jahren wurde zu­nehmend deutlich, dass die Mediennutzung in den speziellen Kon­text der Rezeption einzubinden ist. Hinter diese Ergebnisse kann nicht zurückgegangen werden. Über längere Zeit kam es zu einem Stillstand der empirischen gesellschaftskritischen Medienfor­schung. Gegenwärtig besteht insoweit Konsens in der Forschung als alle Ansätze darin übereinstimmen: Mediennutzung ist eine Form aktiver Aneignung durch das Publikum; die Medienwirkung kann nicht aus dem einzelnen Angebot abgeleitet werden. Eine konkrete empirische Wirkungsforschung ist erforderlich.

Die  Intention der tiefenhermeneutischen Medienanalyse in Marburg geht  dahin, einen kritischen Forschungsansatz weiterzuführen, da­bei aber den Zirkelschluss des Manipulationsansatzes in der Unter­suchung der Massenkultur zu vermeiden.